Gerhard Götze

C, Wie heißt es noch…


Das Initial bezeichnet nur eine Umschreibung.

C, gebürtig in einen Künstlerhaus, dessen Prägung darin bestand, dass der malende Vater seine Arbeiten unversehens vernichtete.

Die Kunst war für sie das Unbedingte, doch wie in einer Gesellschaft damit zurechtkommen, wenn deren Stellenwert für diese belanglos ist?

Also begann der Weg ins Leben, als Kunsthistorikerin, mit einer Gespaltenheit. Wie heißt es noch, das Leben ist die Einheit von Widersprüchen. Makelloses Aussehen, gepaart mit Charme und Geist, suchte sie Nähe zu Männern, deren Haltung den Zwiespalt behoben. Dies schloss bisweilen die gesellschaftlichen Verhältnisse aus und kultivierte das Anderssein.

Ausschweifende Seancen gaben den Nächten den Anblick des Immerwährenden. Das Wiedererwachen nötigte zur Doppelbödigkeit: hier die Kunsthistorikerin, dort die Bohemienne. Und doch wurde hier ein Auftragstext geschrieben, dort ein Werkbuch eines berühmten Malers ediert. Mitunter wurde für Museen als "Freie" für Ausstellungskataloge publiziert.

Das Leben schlug verschiedene Seiten auf, waren sie erfüllt, standen sie als Widerpart zu den anderen. Begegneten wir uns in solchen Momenten, war das Erhabene im Gegensatz zur Unbill der Erfahrungen. Kunst und Literatur schlugen gemeinsame Pfade, auf denen wir der Zweckmäßigkeit entrannen. Unmerklich verstrich die Zeit und hinterließ anregende Momente. Wie Metaphern überschütteten wir die Welt mit dem Numinosen. Und plötzlich war die Welt keine Leichengrube mehr, sondern Ausbund verstohlener Erinnerung.

Trennten wir uns nach solchen Begegnungen, begleitete uns der Nachhall. Die Welt spiegelte wieder einen Hoffnungsschimmer, der das Dasein in seiner Durchsicht wert machte. Von Fall zu Fall gab uns der Zufall die Gelegenheit, uns mit Virginia Woolf oder Ezra Pound einzulassen oder E. L. Kirchner auf seiner Alm einen Besuch abzustatten und mit ihm in die ferne Bergkulisse zu schweifen.

Die Jahre addierten das Leben. Die Begegnungen verloren ihre Häufigkeit, die Umstände, wie Dimensionen der Unermesslichkeit, traten dazwischen. Zeitweilig verloren wir uns gänzlich aus den Augen.

Der Zufall führte uns wieder zusammen. Die Sonnenbrille verdeckte ihr das Gesicht. Ich freudestrahlend:

"Wie geht´s!?"
"Oh, frag nicht, gut!"
"Wollen wir wohin einkehren?"
"Entschuldige, ich bin in Eile!"

Ich ließ es darauf beruhen. Jeder ging wieder seines Weges. Wochen verstrichen. Ein Anruf. "Weißt du, C hat sich aus dem Flurfenster, im fünften Stock, bei einem ihrer Freunde, gestürzt. Am Donnerstag ist die Beerdigung!

Die Erinnerung überschlug sich. Fassungslos verließ ich das Haus.

Gerhard Götze

V, Sächsisch nasalierend…


V. hatte die DDR noch zuzeiten der stalinistischen Ära ausgespuckt. Für dieses System war V. zu individualistisch. Einige Semester an der Dresdener Akademie vermittelte V. die Staatsdoktrin in Sachen Kunst. Dieser konnte V. sich nicht anschließen.

An der Münchner Akademie nahm Otto Nagel V. auf, parallel belegte V. noch an der Münchner Universität Philosophie und Kunstgeschichte.

In der Haltung des Freigeistes ergaben sich für V. nicht allzu viele zwischenmenschliche Kontakte. Mittelgroß, ein wenig sächsisch nasalierend, war V. natürlich auch in Bayern ein Fremdkörper; hinzu kam, dass seine Meinung vernehmbar im Raum stand, egal wer sein Gegen- über war.

Als ich V. begegnete war gerade ein Disput mit seinem Professor für Philosophie der Anlass seiner heftigen Ausführungen. Wie ich vernahm, hatte V. die graphische Ausarbeitung des monadischen Systems nach Husserl zusätzlich zu einer Hauptseminararbeit dem Professor vorgelegt, und wollte diese natürlich benotet sehen. Schon alleine wegen des Umfanges von 14 Metern, wäre dies, für eine der visuellen Kunst nicht versierte Person, eine Aufgabe gewesen, geschweige denn, für jemanden, dessen Weltvorstellung sich in der Sprache artikuliert. Der Professor lehnte kategorisch eine Benotung ab.

In der Hast der Schilderung lud V. mich in seine Atelierwohnung im Olympiadorf ein.

Vom Flur ging es geradezu in eine kleine Küche links davon in den Atelierraum. In einer Holzstellage befanden sich Leinwände unterschiedlichen Formats. Expressiv in ihrer Manier, vermittelten sie die Loslösung von jeder Gegenständlichkeit. Auf dem seitwärts befindlichen Balkon befand sich ein Observatorium, das V. selbst konstruiert- und gebaut hatte, um seiner astronomischen Leidenschaft nachzugehen.

Zu meinem Erstaunen befanden sich auch einige selbst gebaute Plattenkameras in einer Ecke auf Stativen stehend. In dem Ambiente turnten ungerührt drei Katzen umher, die ihr Revier beanspruchten.

Im Gegensatz von zuvor, war V. still geworden, drangen keine Schimpftiraden mehr aus seinem Munde.

Ich sog die Atmosphäre und den Terpentin- und Farbgeruch ein. Plötzlich befand ich mich in einer Stille, die die Sinnesorgane immer wieder neue Gegebenheiten erfassen ließ. Fast so, als wenn ich Hier und Dort den Schatten von den Gegenständen für Sekunden nehmen würde, um zu sehen, was sich "dahinter" verbirgt.

Ich ließ es einstweilen darauf beruhen und verabschiedete mich, "bis auf ein nächstes Mal".

Gerhard Götze

Li, Ich bin Malerin…


„Mein Name ist nicht Gattenfrau: ich bin Malerin, weil dies die einzige Sprache für mich ist!"

In der Au, in München, gegen drei Uhr in der Früh, die Luft von Feuchtigkeit durchdrungen. Ich suche das Taxi, womöglich wollte der Fahrer nicht warten? Ich stehe da, vor mir das Haus, in dem Li wohnt und arbeitet. Im Parterre das Atelier. Im vorletzten Stock die Wohnung. Im Dachgeschoss, Lager und der Raum für Begegnungen, wo die Stunden die Nacht verändern. Begegnet bin ich L in der Rathausgalerie. Zerzauste Haare, T-Shirt, ohne BH. groß, schlank; sie trug ein Bild, groß und mächtig, nach dem anderen herbei. Aus der Ferne erkannte ich sofort die Qualität. Ich fragte meinen Begleiter, ob er sie kenne, er nannte ihren Namen. Ich begab mich zu den Bildern, expressiv-konvulsivisch. L brachte erneut eine Leinwand. Ich sprach ihr meine Bewunderung aus. Verlegen ging sie davon und brachte erneut ein Bild. Sie gab mir ihre Adresse, mit der Einladung versehen, zu kommen.

Nun hatte ich die erste Nacht bei ihr verbracht. Der Wein lockerte das Gehabe. Schließlich lagen wir auf dem Kanapee nebeneinander und schauten durch das Rundbogenfenster in die Nacht. Hin und wieder ertönte eine Silbe und schuf einen Ton. Ich fühlte ihre Nähe, ihre Unmittelbarkeit. Doch ich wollte nicht ihr Liebhaber werden, eher ihr Mentor.

Ihre Lehrer waren Otto Nagel und Fred Damen, aber dies trug nichts Wesentliches zu ihrem Werk bei. Eher ließe sich WOLS als Ahnherr benennen, dessen Werk, sein Schicksal in Paris, als deutscher Emigrant, während der Besatzung und auch nachher, berührte sie sehr. Ihr Werk, Pinselhiebe, die rhythmische Akkorde zum lautlosen Erklingen brachten. Tonalität, wie diese in der A-Tonaltät der zeitgenössischen Musik mitunter in Erscheinung tritt. Aufgewachsen in Eichstätt, in bürgerlichen Verhältnissen. Der Vater Unternehmer in der Holzbranche. Wie ich vernahm, war L die Außenseiterin innerhalb der Familie. Zwangsläufig ließ man sie ihren Weg gehen. Wehmut, und zugleich eine Lachkaskade, schob dies beiseite. Nun war ich in ihre Existenz verwoben. Ich wiederholte die Besuche. Gab ihr diesen und jenen Tipp, ihre Öffentlichkeit zu mehren. Empfahl Museumskuratoren ihr Werk. Es begann Bewegung in ihr Dasein als Künstlerin zu kommen. Ein Cite-Stipendum für Paris wurde ihr zugedacht. Museumsankäufe fanden statt. L stellte mir die wenigen Sammler ihrer Kunst vor. Zumeist hatten sie ein Schnäppchen gemacht. Die Künstlerin war sich ihres Werkes noch nicht bewusst. Bei Gelegenheit stellte ich ihr Wolfgang, einen jungen Bildhauer vor. Daraus erwuchs eine Zuneigung, die wohl eher auf den gemeinsamen Idealen und künstlerischen Bestrebungen beruhte, mitunter auch in ausschweifenden alkoholischen Gelagen endete.

Unsre Begegnungen bekamen mit der Zeit Zeitsprünge, weil ich anderweitige Verpflichtungen hatte. Indessen nahm sie das Stipendium für Paris wahr. Auch ich hielt mich zeitweilig in Paris auf, um zwei Dokumentarfilme zu drehen. Währenddessen wohnte ich bei einem jungen Komponisten, mit dem ich für einen Abend eine Einladung gab, zu der auch L und viele andere Freunde von Francois kamen. L nahm lebhaften Anteil an der Nacht, in der Francois und zwei Freunde eine Saxophon Session veranstalteten. Irgendwann in den Morgenstunden löste sich die Runde auf. Wieder in München, nahm ich hin- und wieder Atelierbesuche bei ihr vor. Eine Leinwand an die Wand gepinnt, hieb L, in Legins und T-Shirt, auf diese ein, wobei ihre Haare von einer Himmelsrichtung in die andere flogen, dabei ungestüm rauchend, und zugleich in lebhafter Schilderung begriffen, den Durst mit einem Schluck Bier löschend.

Ich saß auf einer Holzsteige inmitten ausgelesener Journale, die den Fußboden bedeckten, und schaute, und hörte zugleich ihren lebhaften Ausführungen zu. War sie einmal beim Malen, störte auch kein Besuch, weil sie sowieso in ihrer Arbeit befangen war.

Eine Weile wiederholten sich diese Begegnungen, bis ich merkte, dass sie ihren Werdegang nicht so sehr nach Außen richten wollte. Ich beließ es dabei und erschien nunmehr sporadisch, obwohl wir freundschaftlich verbunden waren. Wolfgang, mit dem sie inzwischen fast eine Symbiose bildete, trat ein DAD-Stipedium in Valparaiso, Chile, an. Nach einigen Monaten kam die Nachricht, dass er unter einem Wasserfall ertrunken sei. Dies löste bei L eine schwere Krise aus, währenddessen sie sich völlig zurückzog und jeden Kontakt mied. Wochen später, hörte ich, dass sie aus dem Leben geschieden sei.

Ihr Atelier besteht noch immer unverändert fort.

Gerhard Götze

J, Alleine mit sich selbst…


J als Aussteiger zu bezeichnen, wäre verfehlt.

Mittelgroß, mitunter sah er aus wie Rasputin. Wenn er jemanden ansprach, dies geschah selten, trat ein Lächeln in sein ansonsten ernstes Gesicht.

Laut seiner Aussage, war der Beruf des Bauingenieurs einmal seine Tätigkeit. Aber dies war alles Vergangenheit.

J hatte sich von allem gelöst; es gab keine familiären noch gesellschaftlichen Bande. Alleine mit sich selbst. Bisweilen schuf er auf der Mauerumfriedung der Grünfläche der Mensa, die fünfzig Zentimeter maß, mit leeren Flaschen ein Environment, dem er ganz für sich eine Sinnfälligkeit zusprach. Oder die Sonne doppelte die Inszenierung und warf Abbilder auf die linke oder rechte Seite, an denen er sich kindlich freute.

Sein Aufenthalts- und Wohnort war der Zugangsbereich der Mensa. Nebenan stand ein alter aufgelassener Lkw, in dessen Führerhaus seine Schlafstätte war. Gelegentlich drücke ihm jemand ein wenig Münzgeld in die Hand, für das er ein verschämtes Dankeschön aussprach. Ansonsten nutzte er den Platz, um sich die Beine zu vertreten oder auf der Betonmauer zu sitzen und den kommenden und gehenden Studenten zuzusehen. Kam ich mit ihm ins Gespräch, sprach er über Adalbert Stifter oder verstieg sich in Betrachtungen alltäglicher Natur. Dabei blitzten seine Augen, als wenn er eine Weissagung vollbracht hätte.

Mitunter sah ich ihn für Tage nicht, um ihm plötzlich gegenüber zu stehen. Fragte ich nach dem Grund seiner Abwesenheit, berichtete er, dass er nach einer Polizeikontrolle in die Nervenklinik verbracht worden war. Anschließend hielt er sich wieder auf dem Vorplatz der Mensa auf. Regnete es, stieg er geschwind in das Führerhaus des aufgelassenen LKWs, in dem er auf dem Fahrersitz Platz nahm.

Bisweilen dienten ihm Pappbecher oder x-beliebige Gegenstände, die sich auf dem Gelände fanden, dazu, diese einer künstlerischen Nutzung zuzuführen. Da der Platz der Darbietung für die Passanten nicht den entsprechenden Rahmen bildete, wurde dies nur als Ansammlung von Unrat angesehen. Aber dies kümmerte ihn nicht weiter, schließlich entstanden diese Inszenierungen, um ihrer selbst willen. Blieb man davor stehen, amüsierte ihn dies, denn eigentlich wollte er damit gar nicht öffentlich werden.

Auf diese Weise vergingen die Stunden und Tage, für die er eine Überbrückung suchte, und zugleich waren diese öffentlichen Gestaltungen auch eine Zierde seines Lebensraumes. Dass diese nur kurzweilig waren, weil sie der Wind oder das Unverständnis seiner Umwelt zerstörte, forderte ihn heraus, die einzelnen Teile wieder zu einer neuen Sinngebung zu verwenden. Aber es kam auch vor, dass der "Unrat" verstreut längere Zeit herumlag, ohne von ihm wieder verwendet zu werden.

Dies nahm über Jahre seinen Gang. Ich verlor ihn dann allmählich aus den Augen, trotz allem blieb er mir in lebhafter Erinnerung.

Gerhard Götze

L, Die Bilder waren irgendwo verräumt…


Wenn die Vielseitigkeit eine Bezeichnung benötigt, wäre sie bei L. an der richtigen Stelle. Eigentlich Maler, Zeichner, Experimentalfilmer in eigner Sache. Nachdem der Erfolg ausblieb, verlegte sich das Bemühen auf die Kunstinterpretation, besser auf die Semiotik der Kunst des ausgehenden 20. Jahrhunderts.

Stattliche Erscheinung, dem eher der Intellektuelle entsprungen schien, denn der Maler. Sprach ich ihn auf seine Malerei an, trat Verlegenheit in sein Gesicht: deformiert in ihrer Struktur, waren die Bilder malerische Sujets, die zwischen Informell und Gegenständlichkeit changierten.

Die Zeit der Malerexistenz lag auch schon eine Weile zurück. Die Bilder waren irgendwo verräumt, zum Zeigen ungeeignet. Dabei blieb´s.

Meistens saßen wir in der Küche, die Nährboden vieler Stunden der Geselligkeit und Plattform verstiegener Erörterungen war. Je ausführlicher der Abend, desto trunkener rauschte der Schädel, ob der Vielzahl der Gedanken; hatten sie womöglich einen Sinn, den wir zu ergründen uns bemühten? Wir schwenkten die Gedanken von links nach rechts, von oben nach unten, plötzlich hatten sie keine Vertikale noch eine Horizontale, waren nurmehr überbordender Wortschwall, dem keine Bezeichnung zu kühn erschien.

Und je später die Stunde, desto aussichtsloser erschien das Unterfangen. Also begannen wir wieder am Anfang. Und siehe da, allmählich brach der Boden ein, auf dem wir glaubten ruhen zu können. Also bemühten wir uns, Ordnung in das Erörterte zu bringen, das sich widerstrebend gebar. Zwischenrein fegte eine Lachsalve wieder alles vom Tisch, so dass wir den Scherbenhaufen erneut versuchten wieder zu ordnen. L. dabei immer heiter und zuversichtlich. Sprach ich ihn auf seine Publikationen an, verlegte sich sein Gesichtsausdruck auf das Schwindelerregende. Ich vermied weiter zu fragen, stattdessen frohlockte der Rotwein in den Gläsern, um dem Gemüht die richtige Salve zu geben.

Und wieder begann das Spannungsreiche mit der Beliebigkeit Eintracht zu suchen. Nicht zu verkennen, es hatte alles seine Richtigkeit, obwohl nichts davon zurücklieb. Ehe wir uns versahen, hatten die Stunden uns düpiert, so dass wir den letzten Schluck des Rotweines hastig austranken und benommen beschlossen, das Unterfangen zu beenden und den Abend zu den vielen anderen dazuzugeben.

L. begab sich ins Bett und ich lief nach Hause oder bestieg das Fahrrad, dessen Speichen wie ein Kreisel, einen Schattenwurf auf dem Asphalt schufen.

Kam ich erneut zu L., drückte sein spitzbübisches Lächeln schon die Ausweglosigkeit des Abends aus. Trotz allem begannen wir das Zeremoniell, der Zeit einen Sinn zu geben, der uns beständig entglitt. Stetig schlugen wir neue Seiten auf, die uns den Moment erklärten, um zugleich dem Unterfangen zu erliegen.

Trotzdem waren wir im guten Glauben, dem Ratschluss nahe gekommen zu sein und forcierten allerhand Kram, dem zu entkommen, einer Entäußerung gleichgekommen wäre. Widerstrebend fügten wir uns den Dingen, deren Bedeutung leicht dahin gesprochen, wie Ahnungen in Erscheinung traten. Und doch waren wir mit ihnen eins, obwohl uns das Entsetzen mitunter ergriff. In diesem Augenblick benetzte der Rotwein die Kehle, um den Wohllaut der Worte zu unterstreichen. Auf diese Weise bemühte sich das Naheliegende und vermischte sich mit dem Fernerliegenden, um ihm eine Gewissheit zu geben. Auf diese Weise überbrückten wir unser Dasein, dem zu entkommen, im Augenblick nicht gegeben war.

Gerhard Götze

T, Die folgenden Tage verstrichen…


T gehörte zu denjenigen, die das Alter nicht daran hinderte, nach neuen, anregenden Aspekten für das eigene Leben zu suchen Kostüm- und Bühnenbildnerin, begann sie nochmals ein Studium der Theaterwissenschaft.

Bisweilen, wenn wir uns hinter dem Haus trafen, tauschten wir gegenseitige Interessen aus. Ob es dabei um Sergjej Djagilew oder Marguerite Duras ging, war einerlei, denn plötzlich fiel der eine dem anderen mit Bulgakov´s Meister und Margarita ins Wort, so dass das Gespräch eine endlose Schleife zog. Unsere Wangen bekamen dabei Farbe und die Worte purzelten wie ersthafte Ungetüme zwischen uns.

Eines Tages bat T- sie wollte in Wien eine Ausstellung aufsuchen - ihre Katzen einige Tage zu füttern. Ich hatte die Wohnung von T bisher nicht betreten, so dass ich lediglich schnell die Katzen versorgte und wieder die Räume verließ.

. Diesen Vorgang wiederholte ich wie vereinbart einige Tage, dabei stieß ich plötzlich auf T, die im Zimmer, geradeaus des Flurs, auf dem Boden lag. Ich hatte den Eindruck, T schlief. Um mich zu vergewissern, sprach ich eine Nachbarin an, dass T am Boden liege, ob dies zu ihren Gepflogenheiten gehöre? Diese versicherte mir, T hätte durchaus „barbarische Sitten“, ich solle mir nichts weiter denken.

Die folgenden Tage verstrichen, ohne T begegnet zu sein. Wieder sprach ich die Nachbarin an, ob sie T indessen gesehen habe? Diese verneinte, so dass ich sie ersuchte, doch einmal nachzusehen. Nachdem sich nach mehrmaligem Läuten keine Reaktion zeigte, händigte ich dieser die Wohnungsschlüssel aus, um nachzusehen. Wie sich dabei herausstellte, war T wohl durch einen Hirnschlag verschieden.

Inzwischen hatte die Wohnung schon einen Leichengeruch angenommen, und an der Stelle, wo T lag, war ihr Körperabdruck wie ein Ebenbild ins Parkett eingedrungen, auf dem nun die drei Katzen Platz genommen hatten.

Gerhard Götze

A, Wieder kein Platz mit Zugehörigkeit…




Die Wege durch die Welt prägten sein Kolorit.

Egal wohin, von überall blieb etwas zurück. Sohn eines seiner Zeit fernen Malers, wollte er tunlichst damit nichts zu schaffen haben. Architektur sollte die Distanz bewirken. Doch mit der Zeit stellte sich dieser Beruf als Zuschnitt der Zeit heraus. Was tun? Eine Lehre als Schreiner? Dadurch ergab sich der vermeintlich unmittelbare Zugang zur Materie. Allmählich überlagerten sich die Polaritäten, wohin damit? Hinaus in die Welt, als Stimulus für die eigene Form.

Italien und New York wurden Stationen. Doch nirgendwo ergaben sich sesshafte Bande. Das Leben wurde zur Periodisierung. Noch immer getrieben, wurde München wieder zur Ausgangsstation. Doch wohin mit der Wahllosigkeit? Also zurück zum Ursprung, zur Malerei. Um dem bürgerlichen Nimbus zu genügen, wurde kurzeitig an der Akademie ein Platz eingenommen. Doch die eigene Sprache war zu prägnant, um im Lehrkörper des Hauses Unterschlupf zu finden. Wieder kein Platz mit Zugehörigkeit. Blieb also nur die Architektur.

Dies die Zeit, unserer Begegnung. Die Ausgelassenheit kulminierte zumeist im Bachanal. Muddy Waters, B. B. King und andere Bluesbarden untermalten die Atmosphäre, wobei die Geselligkeit häufig im Schlemmen endete. Hierfür wurde ausgiebig im Wok zubereitet und gleichzeitig wurden dabei allerhand Unsinnigkeiten preisgeben. Klingelte das Telefon ungelegen, ertönte die Message des AB auf deutsch, englisch und italienisch. Schließlich war A von Welt.

Des Sommers, wenn die Sonne aufzog, stiegen wir durchs Fenster, vor dem A eine kleine Holzterrasse gezimmert hatte. Manchmal war der eine im Raum und der andere auf der Terrasse, so dass das Gespräch durchs offene Fenster erfolgte, durch das auch die Speisen gereicht wurden, deren Duft sofort verzückte. Der dazu kredenzte Wein wurde mit dem Gummischlauch aus der Gallone angesogen, worauf die Karaffe geschwind randvoll war. Pistoletto, Anselmo, am Rande auch Kounellis, bewirkten Sentenzen der Begeisterung ihres Werkes. Aber dies war nur eine Minutenfolge in der Unentwegtheit des Austausches. War die Speise mit Genuss eingenommen, nahm A ein Aquarellbrett, legte ein Blatt Papier darauf und fing lebhaft an, den Augenblick bildnerisch zu konfigurieren. Dabei blieb das Gespräch unentwegt: fast eine Simultanität, in der die Worte mit dem Bildaufbau wechselten. Auf diese Weise entstanden häufig ein halbes Dutzend Farbstiftzeichnungen, von denen ich mir bisweilen eine aussuchen konnte. Je länger die Nacht wurde, desto redseliger ließen uns die Stunden vergessen machen, dass überhaupt eine fortschreitende Zeit der Begegnung im Wege stand. Mitunter ertönte nur der Stift auf dem Papierbogen, den A mit einer gekonnten Schraffur versah. Kam ich erneut, standen Kopien von Riedveld Möbel im Raum, passgenau luden sie nicht gerade zum Platz nehmen ein, eher waren sie Trophäen einer Veränderung der Form, deren Stil in der Gesellschaft verwaist blieb. Aber dies kümmerte A nicht, ihm ging es um die ästhetische Bezeugung, an der er unmittelbar teilhaben wollte.

Dadurch streiften wir das Thema des Neoplastizismus, des de Stijl, der ja nachhaltig in in der Kunst und der Architektur des 2O. Jahrhunderts Fuß fassen konnte. Manches Mal überschlugen sich die Ausführungen und waren nurmehr Ausdruck des genossenen Weines. Und allmählich wurden auch die Beine und die Zunge schwer, so dass wir beschlossen, die Begegnung zu einem anderen Zeitpunkt wieder aufzugreifen, und uns in Erinnerung zu rufen, auf welch reichem Fundus unser Dasein gegründet war.

Gerhard Götze

M, Wie sich zeigte…


Auf der Suche nach Fotos von Ingeborg Bachmann kam es zur Begegnung mit M.

Als versprengter GI, jüdischer Abstammung, war M nach seinem Einsatz als amerikanischer Soldat in München sesshaft geworden.

Von hier aus beobachtete M die Nachkriegsgesellschaft mit seiner Kamera und avancierte allmählich zum Starfotografen. Von Politikern bis zu Dichtern und Dichterinnen war vor M und seiner Kamera nichts sicher. Allmählich belieferte M deutsche und internationale Journale mit Bildmaterial. Mit den . Jahren wuchs auch das Interesse an seiner künstlerischen Handschrift, so dass Ausstellungen mit seinen Aufnahmen stattfanden.

Indessen besass M in Schwabing ein Mehrfamilienhaus, in dem ich ihn aufsuchte.

Mittelgroß und leicht untersetzt, empfing M mich umgeben eines nicht enden wollenden Sammelsuriums. Ähnlich einem Kinderzimmer gab es keine Ordnung, sondern die Ordnung verlief in umgekehrter Reihenfolge. Hier ein mittelgroßer Elefant aus Leder, dort eine nicht bestimmbare At Brut Skulptur, dort eine Schale mit Steinkugeln, usw.

Egal wohin das Auge sich richtete, immer trat etwas hervor, das an diesem Ort nicht vermutet wurde. Inmitten dieser Spielstätte des Auges und des Gemütes, nahm M in einem abgesessenen Ledersessel als Zeremonienmeister einer den Alltag abwendenden Atmosphäre Platz.

Ich trug meinen Wunsch vor, worauf M nach seiner Gemahlin rief, und bat, doch die Fotos genannter Dichterin, die Mitte des Leben durch einen Brand in ihrer Wohnung in Rom umgekommen war, zu bringen. Wie sich zeigte, waren dies Schnappschüsse, keine Portraits, die ich suchte.

Ich fragte noch nach anderen Künstlern, aber auch hier hatte M nur spärliches Material, was der selben Arbeitsmethode zuzuschreiben war.

Es entspann sich noch ein Gespräch über die Zufälligkeit der Begegnungen, und dabei blieb´s.

Ich bedankte mich, und begab mich davon.

Gerhard Götze

P, Die Zeit war reif…


P war eines Morgens mein Nachbar.

Das Studium der Theaterwissenschaft in Paris und Wien sollte ihn befähigen, irgendwo eine Theaterintendanz zu übernehmen. Wir sprachen plötzlich über Hugo Ball und dessen Autobiografie "Flucht aus der Zeit". Hugo Ball war in seinen Anfängen an den Münchner Kammerspielen Dramaturg. Gehörte zeitweilig dem Kreis der Dadaisten um das Café Voltaire in Zürich an. Das Gespräch entwickelte sich lebhaft. Später teilten wir noch das gemeinsame Interesse an Antonin Artaud. Auf diese Weise setzte sich der Dialog immer dann fort, wenn ich Einkaufen ging und an seinem Balkon vorbei kam.

Wie schon erwähnt, war Paris und Wien eine Station seines inzwischen nicht mehr jugendlichen Alters. Hinzu kam noch New York, Zürich, sein Geburtsort, Samoa und Paros, wo jeweils ein Besitz sein eigen war. Gemäß seiner Abkunft, war P das illegitime Kind einer Schweizer Industriellen Gattin, das aus der Beziehung zu einem jüdischen, aus Polen stammenden, Fremdarbeiter ihres Gatten, erwuchs, Diese Tatsache teilte die Mutter dem zwanzigjährigem auf dem Sterbebett mit. Dies erschütterte erst einmal seine bis dato sorgenfreie Existenz, Nunmehr begann die Suche nach der eigenen, der wahren Identität. Die materiellen Zuwendungen, aus dem "elterlichen Unternehmen" und gelegentlichen Erbschaften, gewährten ihm Freiräume.

Dadurch begann eine Zeit der Wanderschaft durch die Welt. In London begegnet P seinem ersten, unwiderstehlichen Liebhaber, wo eigentlich Englischunterricht anstand. Stattdessen erfährt P seine Neigung zur gleichgeschlechtlichen Liebe. Es folgen Weltreisen, um andere Kulturen unterschiedlicher Prägung kennen zu lernen. Die Unruhe treibt P von einem Ort zum anderen. In Paros soll nun ein Ort mit Gleichgesinnten a la Monte Veritas entstehen. Doch diese Idee zerschlägt sich am Desinteresse der Angesprochenen. Zurück bleibt eine ganze Ortschaft, die P dafür erworben hatte.

In New York ein Label für Neue Musik zu betreiben, wird auch nach geraumer Zeit ebenfalls wieder aufgegeben.

Eines Morgens treffe ich P wieder auf dem Balkon: "Ich bin die nächste Woche in der Klinik, meine Überbeine richten zu lassen! Damit du weißt, dass ich abwesend bin!". Ich nicke verständnisvoll, nicht ahnend, welche künftigen Komplikationen für P daraus erwachsen.

Wieder ist der Balkon die Stelle, der erneuten Begegnung. Ich frage nach seinem Befinden. "Soweit so gut!". Schon überlegt P in sein Domizil am Meerbusen von Paros aufzubrechen. Doch die Nachuntersuchungen verwehren diesen Entschluss. In den kommenden Wochen begegne ich P häufiger bei Minusgraden in Sandalen, weil seine Füße angeschwollen sind, auf der Straße von Arztbesuchen zurückkommend.

Einige Tage später präsentiert mir P eine neuerliche Diagnose, der zufolge er eine Knochenwucherung hat, was ihn auf Dauer an den Rollstuhl oder an Krücken binden würde. Empört weist P dies von sich, und beschließt, nach Paros zu fliegen, einige Tage später findet ein Ortsangehöriger P tot auf der Veranda liegend.

Seinen Abschied aus dem Leben hatte P schon zuvor vorbereitet: seine Kondolenzkarte trug den Kommentar:
"Die Zeit war reich und hat mir nun ausgedient. Neue Dimensionen eröffnen sich..."
Seine Asche wurde auf seine Veranlassung ins ägäische Meer gestreut, mitunter spült die Brandung sein Fatum an.

Gerhard Götze

H, Die Weitläufigkeit des Raumes…


H lebte wie der Nachmittag eines Fauns inmitten eines Lofts, das hergerichtet war mit einem Pharaonenbett, in dem H seine Gespielinnen verführte.

Diesem gegenüber stand ein nicht minder großer Tisch, versehen mit Moguhstühlen, die H irgendwo aufgetan hatte. Alles sollte eine gewisse Pracht ausstrahlen, dem Ambiente fehlte jedoch das verbindende Glied. H selbst verkörperte den Typus des ewig Lächelnden, in T-Shirt und weißen Leinenhosen, die Füße in Sandalen, den ovalen Kopf kahlgeschoren, der Blick lebhaft seine Sinnenfreude bekundend.

Alles was nicht zufällig erworben wurde, war handmade, ein Zeichen seiner großen handwerklichen und künstlerischen Begabung.

Jahrelang schlug H sich als Designer und Planer für TV und sonstige Unternehmen durch, aber in ihm ruhte der Künstler, als dessen Verkörperung er sich auch fühlte. Diesem mangelte es jedoch, "in die Stille" einzutreten. Eher war H die Verkörperung des Narziss, dessen Ausdruck ihm keine andere Möglichkeit bot, als diesem zu folgen. Begegnete ich ihm, war es nicht notwendig, einen Dialog zu beginnen. H nahm einfach die Sache in die Hand und begann seinen Redefluss, der, wenn ich diesen nicht unterbrach, stakato ablief. Dabei erstrahlte sein Gesicht, seine Augen glühten mit Überzeugungskraft und seine Körperhaltung unterstrich dies mit Nachdruck.

Genauso verlief das Kochen, recht virtuos wurde hier ein Ingredenz, dort das Fleisch tranchiert, kurz angebraten und dann im Wok zu einer Einheit zelebriert. Anschließend saß der Gastgeber und sein Gast am übergroßen Tisch und aßen gemächlich und bildeten sich die übrigen Gäste ein, für die übermäßig viel Platz am Tisch und an Stühlen vorhanden war.

Die Weitläufigkeit des Raumes verflüchtigte jedoch die Intimität des Augenblicks. Zurück blieben der Gastgeber und sein Gast. Das genossene Mahl hatte plötzlich die Worte verwaist, deren Vokale zuvor wie ein Echo durch den Raum drangen.

H entfernte schnell alles was den Tisch in seinem Erscheinen beeinträchtigen konnte, so dass als Überbleibsel lediglich die Hände des Gastgebers und dessen Gast darauf Platz nahmen, verlegen, weil nicht mehr in Anspruch genommen.

Gerhard Götze

W, Aufgezogene Leinwände…


Mit W hatte ich mich in der Nähe der roten Fabrik in Zürich verabredet. W nutzte das Bedienstetenhaus der Villa seiner Mutter als Atelier- und Wohnstätte. Wie W lakonisch bemerkte, hatten sie sich überworfen. Unzählige Plastikeimer mit angerührter Farbe zierten die Stirnwand des Arbeitsraumes. Aufgezogene Leinwände standen gegenüber. Die Kreuzform in ihrer mythologischen und geschichtlichen Erscheinung war W `s Thema. W sprach lebhaft, um mir zu verdeutlichen, was ihn dazu trieb.

Klein von Wuchs, trat W `s unbändigbare Energie zutage. Die Worte häuften die Weltvorstellung, deren Adept W war. Ich nahm Bruchstücke der Worte auf, suchte darin den Sinn. Allmählich begriff ich, dass ich keinen Sinn suchen sollte, sondern einfach zuhören, um mich durch sein Labyrinth führen zu lassen.

Außerhalb des Arbeitsraumes schien die Sonne und bewirkte die Pracht der Pflanzen im Garten.

Im Hintergrund, verdeckt durch allerhand Bäume und Sträucher, stand mächtig die Villa der Mutter. Ich ortete dies und jenes, während W, ohne Unterlass in seine Bildwelt einführte; außer der Tektonik gab es dabei nichts Beständiges.

W führte mich unvermittelt zu einem seitwärtigen Anbau, vordem als Doppelgaragen genutzt, jetzt Bilderlager, jeweils bis zur Eingangstüre geschichtet, belegten sie den Schaffensdrang und die Aussichtslosigkeit den Dingen auf den Grund zu kommen. Nachdem mich die Masse der Bilder nicht weiter beeindruckte. schloss W geschwind die Türe wieder ab.

Eine umfangreiche Werkmappe ergänzte im Detail das Bestreben. In diesem Moment verkörperte W die Rolle des Demiurgen, dessen Weltgebäude aus der Flüchtigkeit des Augenblicks hervor trat.

Ich versuchte erst gar nicht einen Kommentar dazu zu finden, sondern beließ es bei den Bildern; sie nahmen Teil an der Welt und schufen der vergangenen Zeit ein Gleichnis.

Gerhard Götze

H, Da sie eine originelle Stimme hatte…


Aus ihren Schilderungen sprach reiche Lebenserfahrung. Vom Wesen Künstlerin, schlug sie sich mit einem praktischen Job durchs Leben. Je ausführlicher ihre Ausführungen wurden, desto weniger konnte ich unterscheiden, ob sie nun weiblicher oder männlicher Natur war. Eher neigte ich dazu, letzteres als Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Ihr Redefluss war in diesem Moment unbändigbar, wobei das zur Sprache gebrachte, meine ungeteilte Aufmerksamkeit fand.

Eine Mischung aus Leid und reinster Empfindung wechselte ihren Tonfall. Ich ermunterte sie, dies einmal schriftlich alles niederzulegen, damit das mir Mitgeteilte über den Augenblick obsiegte. Sie schaute mich ungläubig an, als wenn ich das Unmögliche von ihr forderte. Es vergingen nur wenige Tage, und sie unterbreitete mir Aufzeichnungen. Diese waren mitten aus dem Leben gegriffen und versuchten ihre Identität in situativen Ausführungen darzustellen. Wieder ermunterte ich sie, dies einigen Verlagen zu unterbreiten. Dabei kamen jedoch nur obskure Angebote zustande, die die Bedeutung des Textmaterials nicht einordnen konnten und sie deshalb auf der Strecke ließen.

Da sie eine originelle Stimme hatte, riet ich ihr, die Texte in einem Tonstudio aufzunehmen. Dies schien ihr ein praktischer Weg. Alsbald unterbreitete sie mir die CD, Karl Valentin hätte seine wahre Freude daran gehabt. Also ermunterte ich sie, die öffentliche Bühne dafür zu suchen. Auch dies klappte allmählich. Für die Auftritte legte sie sich je nach Ort ein entsprechendes Outfit zu, ging es doch in ihren Texten auch um den Anspielungsreichtum der Geschlechter zueinander.

Da ihr Ausdruck in unmittelbarer Beziehung zu Ihrer Person stand, kam sie auf die Idee, Röntgenaufnahmen, die im Laufe ihres Lebens von ihrem Körper gemacht wurden, mit einem Graphikprogramm am Computer zu bearbeiten. Hierdurch entstanden ganz originelle Bilder, die keine Ähnlichkeit mehr mit ihrem Ursprung hatten. Diese ließen sich beliebig als Digitaldruck in großen Formaten auf Leinwand ausdrucken.

Wieder stellte sich das Problem der Öffentlichkeit, ich ermunterte sie, damit in New York zu debütieren. Doch dieser Schritt war ihr doch zu kühn, so dass es dabei blieb, die Bilder gemacht zu haben und hier und dort ausgestellt zu werden.

Machte ich mit ihr einen Kneipenbummel, endete dies nächtens, und da wir beide mit dem Fahrrad unterwegs waren, in Schlangenlinien auf der Straße.

Mitunter gab es auch Abende, die in regem Austausch der Interessen stattfanden, bei denen wir den Widersinn des Daseins verloren und alle Erfahrungen als beispielgebend empfanden, und beschlossen, mit großer Zuversicht das Leben zu nehmen.

Gerhard Götze

E, Wohnsitz in München…


Mit E verband mich das Interesse an dem anderen, obwohl es jahrelang nicht zu einer persönlichen Begegnung kam.

Klein und zierlich, verkörperte E den Typus der Dame von Welt. Meistens sah ich sie alleine auf der Straße.

Eines Tages kamen wir ins Gespräch, wobei sich zeigte, dass E Malerin war. Um die Jahrhundertwende in Berlin als Tochter eines Kunsthändlers und Spielers geboren. Die Eltern trennten sich in ihren Kinderjahren, worauf E zu einem Verwandten nach Wien kam, der Privatier, Sammler und Misantroph, ein liebevoller Onkel war. Dieser vermittelte ihr Privatunterricht bei einem Akademieprofessor und führte sie bereitwillig durch die öffentlichen Kunstsammlungen.

Mit 18 ging sie nach der Matura wieder nach Berlin und besuchte eine Sprachenschule. Ein Dolmetscherdiplom machte E für die neuen Machthaber unentbehrlich. Diese dienstverpflichteten E ins Hauptquartier des Generalstabes nach Paris. Was konnte E besseres widerfahren, als nach Paris zu kommen?

Die Dienstpflicht dauerte bis zur Kapitulation. Worauf E als Kriegsgefangene interniert wurde. Aber auch hier hatte E Glück im Unglück, der Kommandant war ihr gewogen, so dass E bisweilen das Lager "für Streifzüge" durch Paris verlassen durfte. Dank dieser Protektion konnte E ihre Haut retten und wurde nach geraumer Zeit entlassen.

Nunmehr nahm E ihren Wohnsitz in München. Eine Tätigkeit als Fremdsprachensekretärin sicherte ihren Lebensunterhalt. In Maßen begann E wieder zu Malen. Doch die Zeitumstände liessen daraus keinen Beruf erwachsen. Auf diese Weise führte E eine Doppelexistenz, die weder das eine noch das andere klar hervortreten ließ. Während der kommenden Jahre wurde E die Liebhaberin von Männern, deren Selbstbehauptung aus der gesellschaftlichen Sanktion bestand.

Das Atelier von E zu betreten, spiegelte das Sammelsurium vergangener Stile, das die Versuche der Zugehörigkeit belegte.

Mit Takt und Zurückhaltung ließ E mich ihre Werke betrachten. Vieles war E nicht mehr genehm, hatte seine Zeit überdauert, war nur noch Beleg der Erinnerung. Ich empfahl E doch einige Bilder in einer Publikation Eingang finden zu lassen. Dies blieb erst einmal ohne Kommentar. E verschloss die Ateliertüre und schritt mit mir als ungleiches Paar wieder nach Hause.

Mitunter besuchte ich E zum Tee, dabei hatte ich Gelegenheit, anhand der Gegenstände, die die Räume schmückten, die Privatsphäre näher wahrzunehmen. Bei einer dieser Begegnungen, teilte mir E mit, dass nunmehr ein amtlicher Betreuer, ähnlich einem Vormund, die Belange des Lebens für sie übernommen habe. Somit war E entmündigt, und hatte keine Entscheidungsbefugnis mehr über ihr Leben. Im laufe der Zeit, war auch das Klingelschild von E entfernt, ebenso ihr Telefonanschluss. Auf meine Frage im Hause, konnte mir niemand über E´s Verbleib Auskunft geben.

Gerhard Götze

K, Seine Zeit war vorbei…




Studierter und promovierter Germanist. Seines Zeichens Verleger, dies lag allerdings schon eine Weile zurück. Das väterliche Erbe wurde durch die Veröffentlichung anspruchsvoller Literatur vertan.

Zurück blieb noch in bester Stadtlage das ererbte "Verlagshaus", außerdem im bayerischen Seenbezirk die elterliche Villa. Aus Routine fuhr K. täglich in das Verlagsgebäude, dessen Souterrain das Verlagslager beherbergte, in dem zu Tausenden Bücher ihr Eigenleben fristeten. Im Hochparterre, über diesen Schätzen, inzwischen Altpapier, saß der Chef des Hauses, alleingelassen, am Schreibtisch, eine Flache Whisky und eine Flasche Orangensaft vor sich. Aus einem alten Kofferradio dröhnte allerhand, mal Symphonisches, mal ein Feature oder eine endlose Werbeschleife, deren Stimmen wie ungebetene Gäste den Augenblick beanspruchten. Dazu trank K. aus einem Wasserglas das Gemix, das allmählich alles in die Weite ausdehnte. Wie ein Schmetterling flogen die Gedanken oder die Regungen des Gemüts umher, ließen alles zeit- und raumlos werden.

Klingelte das Telefon, vollführte die Zunge wahre Akrobatik der Beherrschung, um den Schein zu wahren. Klingelte gar jemand an der Haustüre, wurde zuerst das Fenster aufgesperrt, um zu sehen, wer davor stand. Meistens waren dies Eingeweihte, die auf einen Schluck kamen.

Mitunter begann K. Dialoge über die eheliche Beziehung zu Papier zu bringen. Natürlich entglitt K. das Thema allmählich oder eine Lache der Suada, die K. stetig trank, hatte das Schriftbild ausgelöscht. Ach, was hatte es auch für eine Bewandtnis? War dies doch nur Ausdruck des Zersetzungszustandes, für den es keine Lösung gab.

Gegen Mittag hatte das Delirium schon seinen Höchststand erreicht, hierbei wurde die Symmetrie wie eine Achse, deren Konus sich plötzlich verflüchtigt hatte. Selbst der Gang zur Toilette war ein wahrer Schiffbruch, bei dem es galt, nicht über die Reling zu stürzen. Gegen Abend, die bürgerliche Fassade musste gewahrt bleiben, half der Wagen vor der Türe das Desaster zu unterbrechen. Was häufig mit einer Karambolage endete, bei der dem betroffenen anderen Autofahrer, schnell ein paar Scheine zugesteckt wurden, um Schlimmeres zu verhindern. Mitunter endete dies auch im Krankenhaus, und war plötzlich kein Thema für eine Matinee. Aber dies war nur die Unbill des Lebens, dessen Herr ab und an abwesend war.

Vom Wesen war K. völlig ungeeignet, Verlagsleiter zu sein. Ein Schöngeist, der seinen Platz verfehlt hatte.

K. begegnete ich schon in der geschilderten Phase, ein Zurück gab es für ihn nicht mehr, er hatte Oblomovs Welt der persönlichen Verheißung zur Ausschließlichkeit erkoren, also blieb nur noch das beständige Delirium.

Ich klingelte an besagter Haustüre, diesmal war es kein Saufbruder, der davor stand, nannte meinen Namen und den Grund meines Besuches. K. hatte in großzügiger Weise ein Filmprojekt eines älteren Malers unterstützt, dessen Nachlassverwalter ich inzwischen geworden war. Ich wollte eigentlich einige rechtliche Dinge im Zusammenhang mit diesem Filmprojekt erörtern, geriet jedoch statt dessen in ein Labyrinth der persönlichen Geworfenheit, der kein Ausweg zuteil wurde. K. radebrechte Unsinnigkeiten, die bisweilen durch Lachtöne unterbrochen wurden, um sogleich wieder ihre Rede im Monolog zu ersticken.

Ich empfand die Tragik und war nicht imstande, Abhilfe zu schaffen, die im übrigen auch abgelehnt worden wäre. Dem Sinn meines Besuches beraubt, beobachtete ich eine Person, die über ihrem bürgerlichen Kodex im Strudel der Aussichtslosigkeit Platz genommen hatte.

Nun erschien K. bisweilen, Objekte seines Erbes unterm Arm, mit der Bitte, diese in bare Münze umzusetzen. Ich ahnte, dass ich dadurch nur den Sturzbach seiner Lebensbahn beschleunigen würde. Doch was blieb mir übrig? Seine sozialen Verhältnisse waren, wie ich ahnte, nicht mehr vorhanden. Ein vormals wohlsituierter und gebildeter Mensch, dessen Lebensbahn gänzlich aus den Fugen geraten war, stand nun quasi als Bittsteller vor mir und erbat praktische Hilfe.

Doch K. war kein Freund, mir noch sonderlich sympathisch. Die Verbundenheit, die bestand, war der Kontakt über den Nachlasskünstler, dessen Werk ich promotete und zu internationalen Ausstellungen brachte.

Ich arrangierte wie gebeten, brachte K. Geld, das wieder in Alkoholika ertränkt wurde. Dies ging eine Weile, bis K. wieder bei mir erschien, und so fort...

Wie ich indessen aus seinen Reden vernahm, hatte K. Familie, die wohl nicht ahnte, was während seiner täglichen Bürozeit geschah, in welchem Strudel K. inzwischen angelangt war.

Auf diese Weise wiederholten sich in Abständen die Besuche von K., sie währten nur den Augenblick der Verlegenheit, und hinterließen ein Objekt, das ich versetzen sollte. Eines Tages las ich in der SZ zufällig seine Todesanzeige, die bezeugte, dass K. im noch jungen Alter von 57 Jahren plötzlich und unerwartet, verschieden sei. Ich beglückwünschte K. insgeheim und erinnerte mich lebhaft seines Zustandes.

Gerhard Götze

I, Ihre Stimme war wohltuend…


I begegnete ich eines Wintertages auf gleicher Schritthöhe. Ein Blick vergewisserte uns die Unmittelbarkeit.

I trug Sonnenbrille; der Schnee flimmerte durch die matte Sonne beschienen.

I hatte Anmut: dunkler Typ im Mohairmantel, an der Leine ein kleiner Hund.

Ihre Stimme klang wohltuend, nicht herausfordernd.

Von Beruf Schauspielerin, inzwischen Invalidin. Weshalb? Eine Knieverletzung bei einem Filmdreh war die Kehrtwende des Werdeganges. Nun lebte I mit beständigen Schmerzen; zur Linderung nahm sie Morphiumstäbchen, alles andere versagte schon längst. Die Straße oder den Park zu betreten, war ihrer Willenskraft zu verdanken.

Ihre Kindheit verbrachte I in der DDR. Polnischer Abkunft, musste sie einem jähzornigen Vater entzogen werden, damit ihr fürs weitere Leben noch eine Chance blieb. Ein barmherziger Pfarrer nahm sie auf und gewährte ihr ihren Neigungen nachzugehen. Nach dem Abitur schaffte I den Grenzübertritt und ging aufs Rheinhard-Seminar nach Wien. Erste Engagements folgten für Film und TV. Alles stellte sich hoffnungsvoll dar, bis zu jenem Tage.

Mehrere Operationen folgten, die alle keine Heilung noch eine Linderung bewirkten. Allerhand Prozesse folgten, auch diese führten nicht zu ihrer Genesung. Indessen war I mit P liiert, der ihr Leiden mit einfühlsamen Verständnis ertrug. Allmählich begann eine Zeit der psychischen Auflösung. Dies die Zeit, in der ich I begegnete. Mitunter entlockte ich ihr ein Lachen oder ein wenig Frohsinn, bis zum Nachhauseweg. Danach hütete I wieder das Bett, um das Bein ruhig zu stellen. Gelegentlich rief ich an, aber die Stimme am anderen Ende versagte häufig und bat, ein andermal anzurufen. Dies wechselte mit wiederholten Begegnungen, in denen I mich ins Vertrauen zog.

Diese Form des Lebens versagte ihr alle Hoffnung. Ich versuchte ihr trotz allem Hoffnung zu machen. I lächelte verzagt dazu. Eines Tages, offenbarte I mir, dass sie mit Dignitat, einem Schweizer Sterbehilfeverein, Kontakt aufgenommen habe. Ich solle bitte P nichts davon sagen. Natürlich behielt ich dies für mich. Wochen verstrichen, in denen ich bisweilen I zufällig mit ihrem Hund begegnete. Wieder versteckte die Sonnenbrille die Sicht auf die Augen. Hin und wieder äußerte I ein paar Worte, ansonsten schritten wir gemächlich in der Parkanlage dahin. Ich versagte mir, nach ihrem Befinden zu fragen. Ende Dreißig, war sie noch eine Schönheit, der das Leid nicht unbedingt ins Gesicht geschrieben stand. P. ihr Lebenspartner, war wiederholt geschäftlich im Ausland, was I ermöglichte, aus dem Leben zu scheiden.Tage später rief P an und teilte mir mit, er hätte I auf der Couch tot vorgefunden. Damit hatte I´s Leiden ein Ende gefunden.

Gerhard Götze

H, Da saßen wir nun…


H konnte gerade noch der kleinbürgerlichen Enge des Elternhauses entrinnen, in dem sie mit neunzehn Jahren die Flucht in eine Ehe nahm. Bis dato hatte ihr das Elternhaus jeden Sozialkontakt verwehrt. Nun war der Zeitpunkt, zu dem sie künstlerisch zu arbeiten begann.

Gemäß der Vorstellung des Elternhauses schlug sie den gehobenen Dienst beim Finanzamt ein. Während des täglichen Arbeitsvorgangs zeichnete H auf winzige Papiere Bildnisse, die wie durchlittene Selbstbildnisse waren.

Eine strenge Linienführung schuf eine perfekte Konturierung, deren Resultat erschütternde Zeugnisse individueller Befindlichkeit offenbarten. Lange Zeit verschwanden die Blätter in einem Ringordner, ohne je öffentlich gemacht zu werden. Erst nach Jahren, die Ehe war dahin, der Beruf aufgrund dauernder gesundheitlicher Beeinträchtigung passe, brachte ein Bekannter H und ihr erschütterndes Material. Ich weiß nicht, wem ich mehr Aufmerksamkeit widmete, H oder ihren Arbeiten. Ich versuchte den Mittelweg, von beiden machte ich mir ein Bild. H verhalten, sinnliche Ausstrahlung, Anfang vierzig. Gleich mehrere Bände mit den Arbeiten lagen vor mir auf dem Tisch. Die Blätter nahmen mich sofort gefangen. Sprachlos beschaute ich ein Motiv nach dem andern. Es gab nichts vergleichbares im 20. Jahrhundert: höchst artifiziell, nicht plump, war jedes Blatt Zeugnis ihrer Befindlichkeit. Ich schlug Ausstellungen vor, riet, den Fundus zusammen zu halten. Aber jeder praktischer Vorschlag verlor sich im Schweigen der Künstlerin.

Monate verstrichen, ich fragte, ob sie je einen Versuch unternommen habe, eine Ausstellung anzubahnen? Ein Lächeln trat in ihr Gesicht. Ich insistierte nicht weiter. H´s Erscheinung zog mich wieder an, doch dazwischen befanden sich ihre Selbstbildnisse, das Wissen um ihre Befindlichkeit.

Wieder verstrich ein längerer Zeitraum, sie holte mich ab, wir fuhren in ihre Wohnung. Das Gebäude, für ein normiertes Leben seiner Bewohner konzipiert; wir begaben uns in den vierten Stock. Eine Reglosigkeit verkörperten die Räume. Ich nahm Platz, H bereitete einen Tee.

Da saßen wir nun, tranken den Tee und suchten geeignete Worte, um dem Augenblick Ausdruck zu geben.

Gerhard Götze

CH, Da ich nicht antworten konnte…


Ch hatte die gesellschaftlichen Bande abgelegt. An einer für mich nicht einsehbaren Krankheit leidend, lag Ch reglos im Bett. Lediglich der Kopf schaute unter dem leicht schmuddeligen Federbett hervor. Ich war häufig an Ferdinand Hodlers Portraitzeichnungen erinnert, die dieser von seiner sterbenden Freundin gezeichnet hatte. Anfang Vierzig, hatte Ch verschiedene Ausbildungen absolviert, um sich allmählich zur Kunst zu bekennen. Bildgroße Zeichnungen, die das herkömmliche Format der Zeichnung erweiterten, versah Ch mit einer gebündelten Linienführung.

Ch´s Appartement befand sich an einer lebhaft befahrenen Straße. Kam ich zu ihr, versuchte ich erst einmal die Küche in einen ansehnlichen Zustand zu bringen. Zumeist ging ich unaufgefordert Einkaufen, da Ch fast mittellos war und häufig lediglich von gekochten Kartoffeln lebte. Eines Tages erhielt ich von Ch einen Brief, in dem sie mir mitteilte, dass sie nach Amsterdam aufgebrochen sei und ich so gut sein solle, aus ihrem verlassenen Appartement einige Zeichnungen und Bilder zu holen und diese zu verwahren, sie lebe inzwischen obdachlos.

Da ich um ihre Verfassung wußte, begann ich nach ihren Eltern zu recherchieren. Nach dem X-fachen Anruf bei namens gleichen Personen, stieß ich auf ihre Mutter.

Nachdem ich dieser von der jetzigen Existenz von Ch berichtet hatte, begab sie sich auf die Suche in Amsterdam nach Ch. Die Begegnung fand kurz darauf statt, wobei Ch keine Veränderung ihres Lebensstils in Aussicht stellte.

Bisweilen erhielt ich im nächsten Zeitraum Briefe von Ch, in denen sie mir ihr Wohlbefinden mitteilte. Immerhin lebe sie in einem toleranten gesellschaftlichen Umfeld, in dem ihre jetzige Lebensweise gebilligt würde. Da ich Ch nicht antworten konnte, wartete ich wieder auf einen neuerlichen Brief. Diese erfolgten auch in Abständen, in denen sie erwähnte, dass sie nunmehr ein Zelt habe und am Meer lebe. Nach wie vor war Ch außerstande, sich mit irgendwas zu beschäftigen. Fragte ich sie worin ihr physisches Leiden bestehe, konnte sie mir kein klare Antwort geben. Lediglich: "im Kopf!" Mit der Zeit gab es Perioden, in denen dieses Befinden nachließ und Ch wieder in einen Zustand versetzte, in dem sie nicht nur reglos danieder lag und von dem Rest des Federbettes verdeckt wurde. Wenn ich so Ch gedachte, wechselte die Gegenwart mit der Vergangenheit und schuf ein Bild von Ch, dem inzwischen beides fehlte..., nämlich das augenblickliche Ereignis der Begegnung.

Ausgewählte Texte von
Gerhard Götze


C, Wie heißt es noch…

V, Sächsisch nasalierend…

Li, Ich bin Malerin…

J, Alleine mit sich selbst…

L, Die Bilder waren irgendwo verräumt…

T, Die folgenden Tage verstrichen…

A, Wieder kein Platz mit Zugehörigkeit…

M, Wie sich zeigte…

P, Die Zeit war reif…

H, Die Weitläufigkeit des Raumes…

W, Aufgezogene Leinwände…

H, Da sie eine originelle Stimme hatte…

E, Wohnsitz in München…

K, Seine Zeit war vorbei…

I, Ihre Stimme war wohltuend…

H, Da saßen wir nun…

CH, Da ich nicht antworten konnte…

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